Gewalt zu Silvester in Leipzig Connewitz: „Eine riesengroße Dummheit“

In Leipzig wird ein Mann wegen der Connewitzer Silvester-Krawalle verurteilt. Mit dem angeblichen Mordversuch an einem Polizisten hat er aber nichts zu tun.

Ein Angeklagter und sein Verteidiger sitzen im Gerichtssaal

Im Gerichtssaal des Leipziger Amtsgerichts Foto: Sebastian Willnow/dpa

LEIPZIG taz | Satpal A. blickt den Richter an, schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was mich geritten hat.“ Er sei das erste Mal zu Silvester am Connewitzer Kreuz gewesen, allein, habe Bier getrunken, erzählt der Mann mit den langen Locken, seine Hände in den Pulloverärmeln vergraben. Dann seien da diese Polizisten vorbeigerannt, von denen er einem ein Bein gestellt hat. „Eine riesengroße Dummheit. Es tut mir wirklich leid.“

Satpal A. sitzt am Mittwochmorgen im Saal 100 des Leipziger Amtsgericht, dem größten im Haus. Drinnen drängelt sich die Presse. Auch etliche ZuschauerInnen, die nach linker Szene aussehen, sind da. Das Interesse kommt nicht von ungefähr: Denn nur eine Woche zuvor stand Satpal A. noch wenige hundert Meter entfernt auf der Straße – in der Silversternacht am Connewitzer Kreuz in Leipzig.

Damit gehört der 27-Jährige zu einem Abend, der inzwischen bundesweit diskutiert wird. Denn dort griffen Anwesende mehrere Polizisten an, ein Beamter wurde bewusstlos getreten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht von linkem Terror. Feiernde wiederum beklagen Polizeigewalt, auch ein Festgenommener landete stationär im Krankenhaus.

Dass Satpal A. nun bereits vor Gericht steht, verdankt er einem beschleunigten Verfahren. Das kann bei vermeintlich klarer Beweislage geführt werden, Sachsen forciert solche Prozesse. Zwölf Personen nahm die Polizei in der Silvesternacht fest, vier erhielten einen Haftbefehl. Einer davon ist Satpal A. Niemandem der zwölf wird indes der Mordversuch vorgeworfen. Bei ihnen geht es vor allem um Flaschen- und Böllerwürfe auf Polizisten im Nachgang.

Der Angeklagte gehört nicht zum autonomen Spektrum

Bei Satpal A. war es das Beinstellen. Mit der Tat, verübt gegen 1 Uhr, habe er einen Polizisten tätlich angegriffen und eine Körperverletzung begangen, verliest der Staatsanwalt die Anklage. Der Beamte spricht selbst als Zeuge, er war Teil einer Festnahmeeinheit. Fast im Sprint sei er gelaufen, habe den Angeklagten noch im Augenwinkel gesehen, dann sei er „volle Kanne in den Boden eingerastet“. Ein Knöchel sei geschwollen, am Unterarm habe er ein Hämatom.

Satpal A. hat die Tat da schon eingeräumt. Ja, er habe das Bein gestellt, sagt er. Er könne sich das auch nicht mehr erklären. Schnell wird klar: Zum autonomen Spektrum gehört dieser Angeklagte nicht.

Gilt dort die Devise, keine Aussage vor Polizisten oder Richtern zu machen, erzählt der 27-Jährige sofort bereitwillig. Er sei ein Straßenkünstler, ein Jongleur, berichtet er dem Richter. In Sachsen geboren, nach dem Hauptschulabschluss mehrere Jahre durch Europa gereist, zuletzt in Leipzig gelandet, bei einer Freundin.

Am Connewitzer Kreuz sei er gewesen, um eben Silvester zu feiern, sagt Satpal A. Viel Polizei sei dort gewesen, ein Beamter habe einen Mann getreten. Habe er deshalb dem Polizisten das Bein gestellt? Der Angeklagte verneint. Warum er sonst die Tat beginn, kann er nicht begründen. „Ich weiß es nicht.“ Er sei betrunken gewesen, habe nicht nachgedacht, sagt A. An den Polizisten wendet er sich direkt: „Ich will mich auf jeden Fall entschuldigen, dass ich das getan habe.“

Geburtstag in U-Haft

Schon direkt nach der Tat wurde der zuletzt Arbeitslose festgenommen. Wegen des fehlenden festen Wohnsitzes saß er bis zum Prozess in U-Haft, verbrachte dort auch seinen jüngsten Geburtstag. Indes: Was der 27-Jährige sich hat zuschulden kommen lassen, geschah weit später als die Tat, die nun als Mordversuch gilt und über die jetzt alle reden. In dem Zusammenhang habe man A. nicht gesehen, bestätigen auch die zwei Polizeizeugen.

Auch deshalb, und weil Satpal A. nicht vorbestraft ist, plädiert sein Verteidiger nur für eine Geldstrafe. Der Staatsanwalt fordert dagegen eine sechsmonatige Freiheitsstrafe. Dem schließt sich Richter Uwe Berdon an. Die sechs Monate setzt er auf zwei Jahre Bewährung aus, zudem muss Satpal A. 60 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. „Ich bin überzeugt, Sie werden so etwas nicht wieder tun“, sagt Berdon. Dennoch habe er eine Straftat begangen, einen Polizeieinsatz behindert und das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt.

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Satpal A. atmet sichtlich auf. „Ich bleibe auf jeden Fall straffrei“, versichert er dem Richter sofort. A. lächelt, nimmt noch im Gerichtssaal das Urteil an. Sein Haftbefehl wird aufgehoben. Auch sein Verteidiger zeigt sich zufrieden.

Was genau indes bei dem Angriff passierte, bei dem ein Beamter bewusstlos zurückblieb, bleibt noch zu klären. Ein Augenzeugenvideo, das die taz veröffentlichte, zeigt mehrere vermummte Täter.

Die Polizei räumte nach einem taz-Bericht bereits ein, dass der Beamte nicht notoperiert werden musste. Auch ein brennender Einkaufswagen wurde nicht, wie anfangs ebenso behauptet, „mitten in eine Einheit Bereitschaftspolizisten“ geschoben. Nach den Angreifern auf den Polizisten suche man bisher erfolglos, sagte eine LKA-Sprecherin am Mittwoch der taz. Auf einen Zeugenaufruf habe sich bisher niemand gemeldet.

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